Obersteinach war im Krieg zweite Heimat für Rotenberger
Schüler
ROTENBERG - "An einem düsteren und frostigen Novembertag
des Jahres 1943 wanderte ein Hirte mit seinen 50 Schäfchen von
Rotenberg ins hohenlohische Obersteinach aus." So ähnlich
schrieb der ehemalige Rotenberger Lehrer, Gottlieb Kill am 26. November
1953 in einem Zeitungsbericht zum 10. Jahrestag der Umquartierung von
Rotenberger Schülern.
Bomben über Rotenberg

Obersteinach
Das waren die Klassen 1 bis 8 der damaligen Dorfschule. Die Eltern dieser
Schüler nahmen mit gemischten Gefühlen das Angebot an, Ihre
Kinder an einen sichereren Ort, der Ihnen unbekannt
war, zu verlagern. Diese Entscheidung erwies sich aber schon am Abend
des Abreisetages als richtig, da Rotenberg durch einen Bombenangriff
schwer getroffen wurde.
Die Kinder sind damals bei verschiedenen Familien und Gasteltern in
Obersteinach und Umgebung untergekommen.
Dort sind sie dann zur Schule gegangen und haben ein neues Zuhause
gefunden. Sie fühlten sich sicher und menschlich geborgen, so dass
für viele Kinder das bittere Heimweh fernab vom Elternhaus gemildert
oder sogar verdrängt wurde. Für immerhin 18 Monate wurde der
Ort ihre zweite Heimat.
Als Zeichen dankbarer Erinnerung finden deshalb seit Kriegsende immer
wieder gegenseitige Besuche statt. So werden die Rotenberger immer zum
Obersteinacher Heimatfest, das alle zehn Jahre stattfindet, eingeladen.
Nicht zuletzt, weil einige der damals Betroffenen heute im Männerchor
des TGV Rotenberg singen, hat sich zwischen den Chören von Obersteinbach
und Rotenberg eine Partnerschaft entwickelt, die bis heute von beiden
Seiten treu gepflegt wird. Leider konnten die Rotenberger am diesjährigen
Heimatfest im Mai nicht teilnehmen.
Deshalb wurde beschlossen, in der Adventszeit einen "erweiterten
Sängerausflug" zu unternehmen - fast zum 60. Jahrestag der
Verlagerung.
Am 3. Advent begann die Fahrt in Richtung Ilshofen für die 55
Personen um 7.30 Uhr. Eingeladen waren außer dem Chor alle, die
sich mit Obersteinach verbunden fühlen.
Schon bei der Einfahrt in das hohenlohische Dorf wurden die ersten
Erinnerungen an damalige Ereignisse wach. Häuser und Gehöfte
wurden wiedererkannt genauso wie die Schule und die Kirche. Die erste
Station nach der Ankunft war ein Erinnerungsgottesdienst in der Kirche,
in der einige der Rotenberger Kinder damals konfirmiert wurden.
Hier war auch das erste Zusammentreffen mit den ehemaligen Schulkameradinnen
und Schulkameraden. Den Gottesdienst gestaltete der Chor mit einigen
geistlichen Liedern unter der Leitung von Vizedirigent Rainer Berner
mit. In seiner Ansprache verstand es Hermann Berner als direkt Betroffener,
auch Außenstehenden gut die Gefühle und Ängste der Kinder
von damals zu vermitteln. Dankbar hob er die freundschaftliche Beziehung
über Generationen hinweg als fast schon einmalig heraus. Auch Walter
Stepper, einer der Organisa-toren in Obersteinach, beschrieb einige
Situationen, die manche Schicksalsgemeinschaft entstehen ließen,
die bis heute Bestand hat.
Nach einem Mittagessen wurden bei einem Spaziergang durch Obersteinach
die Zufluchtstätten von 1943 in Augenschein genommen. Dabei wurden
Erlebnisse und Eindrücke von damals ausgetauscht.
Der rege Austausch wurde auch beim darauf folgenden Gemeindenachmittag
weitergeführt. Dieser wurde, passend zum 3. Advent, mit weihnachtlichen
Weisen von den Obersteinacher Landfrauen, dem Posaunenchor und dem gemischten
Chor des Liederkranzes Obersteinach gestaltet.
Auch die Rotenberger Sänger ließen es sich natürlich
nicht nehmen, ihren Beitrag mit einzubringen. Ein nicht alltägliches
Krippenspiel der Obersteinacher Jugend rundete den festlichen Nachmittag
ab. So konnte, gut gestärkt, die Heimreise an-getreten werden.
Dieses Treffen war wieder ein Meilenstein in der freundschaftlichen
Verbundenheit dieser beiden Orte. Die meisten Teilnehmer werden mit
großer Freude an diesen schönen Nachmittag zurückdenken.
Ulrich Krämer
08.01.2004